Alles Perverse (1. Update)

Dass der gemeine Anime- und Manga-Fan in manchen Augen als etwas kindlich, pervers und irgendwie zurückgeblieben, im besten Fall vielleicht einfach nur ekzentrisch angesehen wird, daran sind die meisten ja bereits gewöhnt. Bei dem, was sich die BILD Zeitung jüngst geleistet hat, dürfte aber selbst der hartgesottenste Otaku nicht wissen, ob er lachen oder weinen soll.

Der Anlass ist hierbei ein äußerst tragischer: Anfang November wurde in Leipzig im Elsterflutbecken die zerstückelte Leiche des 23-jährigen Jonathan H. gefunden. Wie sich im Laufe der Ermittlungen herausstellte, war dieser auch in der Cosplay-Szene aktiv. Entsprechend meldeten sich nach Aufrufen der Polizei auch einige Cosplayer, welche ihn persönlich oder aus Online-Foren kannten. Über das Tatmotiv ist bisher noch nichts bekannt.

Wie nun der BILDblog berichtet, hat sich die BILD Zeitung mangels eines mutmaßlichen Täters, den man anprangern könnte, mit dem Opfer “auseinandergesetzt”. Unter dem Titel “Die bizarre Welt des Jonathan H.” zeigt man ein Cosplay-Foto des Opfers im Lolita-Kostüm und lässt sich genüsslich über Frauenkleidung und schwarz lackierte Fingernägel aus. Wie genau man sich mit der “bizarren” Welt des Opfers tatsächlich auseinandergesetzt hat sieht man unter anderem auch an den angedichteten Flügeln, die tatsächlich von einem Poster aus dem Hintergrund stammen. Fans der Serie Angel Sanctuary von Kaori Yuki werden das Motiv sicherlich wiedererkannt haben.

Man kann sich leicht die simple Gleichung der BILD-Redakteure vorstellen: Junge + Kleid = Transvestit = Schwul = Pervers. Dazu das klassische Bild des einsamen Nerds, der sich in seine eigene kleine Traumwelt zurückzieht und die Schlagzeile ist perfekt. Ein wenig frage ich mich doch, wie man wohl bei einer Frau getitelt hätte. Eigentlich gibt es nur zwei Möglichkeiten je nach gewähltem Kostüm: “Unschuldig steht sie da in Rüschenkleid und weißen Engelsflügeln”  oder “Ihre exhibitionistische Ader lebte sie mit knappen Kostümchen im Manga-Stil aus”. Vermutlich wäre letzteres der BILD Zeitung wohl am liebsten, vorzugsweise mit ausführlichem Beispielmaterial. Entsprechende Galerien hat man ja offenbar selbstständig ausfindig machen können.

Aber nicht nur die BILD ist auf das Hobby des Toten angesprungen. In der SZ titelt man bereits reißerisch vom “Manga-Mord“. Um es noch einmal zu erwähnen: Bisher gibt es keinerlei Anhaltspunkte zu Mordmotiv oder Herkunft des Täters. Aber die Kombination ergab offensichtlich eine viel zu verführerische Alliteration als dass man auf diesen Aufhänger verzichten wollte. Natürlich wird auch in Richtung Manga-Szene ermittelt, dies ist aber nur eine von vielen Möglichkeiten.

1. Update: Auf BILDblog hat sich nun eine Bekannte von Jonathan zu Wort gemeldet. In ihrem besonders lesenswerten offenen Brief kritisiert sie die aktuelle Berichterstattung. Außerdem werden die zahlreichen Falschmeldungen korrigiert. So war Jonathan selbst kein Cosplayer im eigentlichen Sinne. Die veröffentlichten Fotos zeigen eine einmalige Spaß-Aktion.

2 Kommentare

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