In Rottweil sind die Assassinen los: Ein Lehrstück über urbane Mythen und die deutsche Presse

Assassin's Creed: Altair Concept ArtAls ich vergangenen Donnerstagabend in der Onlineausgabe des Spiegel einen Artikel über einen angeblichen, mysteriösen “Kampfmönch” im Städtchen Rottweil las, lachte ich einmal herzlich über das unscharfe Handy-Foto eines Assassin’s Creed Cosplayers in einem Park und wollte der Sache eigentlich nicht mehr Beachtung als einen Tweet mit blöden Kommentar schenken. Das wäre aber im Nachhinein betrachtet schade gewesen.

Es ist freilich einfach, auf jemanden ein zu treten, der bereits am Boden liegt. Das möchte ich mir nach dem ersten Ärger über die Sache auch sparen. Manch einem mögen bei diesem eigentlich nichtigen Vorfall sowieso die Ohren rot angelaufen sein, auch wenn die wenigsten das wohl öffentlich zugeben würden. Aber die Geschichte gibt so viel mehr her als profane Schadenfreude, nämlich eine ganz interessante Analyse.

Sie ist ein Lehrstück über urbane Legendenbildung im digitalen Zeitalter, den Ruf von Videospielern, Cosplayern und Co. in der Öffentlichkeit sowie zu dem Einfluss der Presse auf diese öffentliche Meinung, ebenso wie über die aktuelle Situation der Presse an sich. Glaubt ihr nicht? Ich hoffe, ihr habt ein wenig Zeit mitgebracht.

Was ist also passiert?

In der Baden-Württembergischen Stadt Rottweil ist am 23. Juni ein Cosplayer im Kostüm des Hauptcharakters Altair aus dem Videospiel Assassin’s Creed unbewaffnet und am hellichten Tag über eine Wiese in einem öffentlichen Park gelaufen. Einer Schülerin einer angrenzenden Schule war das nicht ganz geheuer. Sie schoss mit dem Handy ein Foto und lud es ins Internet. Ende der Geschichte.

Interessant ist, was sich danach in Rottweil und später im gesamten Bundesgebiet bis zum Ausfindigmachen besagter Person gute anderthalb Wochen später abspielte:

Der Beginn einer Legende

Ich erinnere mich noch sehr gut, wie sich während meiner Schulzeit in der 5./6. Klasse ein gewisser Hang zum Okkultismus rund um’s Gläserrücken unter den Schülern breit machte. Man schaukelte sich gegenseitig mit angeblich wahren Spukgeschichten hoch, erfand hier und da etwas dazu oder ließ Dinge weg. Wer die besten Geschichten erfand bzw. das Glas am unauffälligsten selbst verrückte, mit den coolsten Geistern sprach oder die gruseligsten Gestalten im Spiegel sah, konnte sich der Aufmerksamkeit der Gruppe sicher sein. Die Sache ging so weit, dass eines Tages bei einem Klassenausflug auf einem Campingplatz die Eltern mehrerer Schüler spätabends ausrücken mussten, um ihre vollkommen verängstigten Sprösslinge nach Hause zu holen. Die Eltern waren empört, man suchte einen Auslöser für all das, musste aber letzten Endes einsehen, dass ihre Kinder einfach nur eine sehr blühende Fantasie besaßen. Die Schüler von damals dürften heute zum größten Teil selbst Eltern sein.

So ungefähr muss es sich auch in Rottweil zugetragen haben, allerdings inzwischen mit digitaler Unterstützung und einem tatsächlich existierenden Ursprung. Unter den Schülern der um den Park herum verteilten, weiterführenden Schulen machten Gerüchte die Runde. Der Assassine sei öfter gesichtet worden, ihm wurde ein blutiges Messer angedichtet, ein Kind sei vor Schreck ins Krankenhaus eingeliefert worden, im Internet seien Drohtexte aufgetaucht und unter der Kapuze sei kein Gesicht zu sehen, sondern allenfalls eine schwarze Maske. Letztere Erfindung brachte der Person in der Presse den zusätzlichen Namen “Maskenmann” ein. Da viele Schüler im Internet zudem immer wieder von weiteren Sichtungen berichteten, von denen allerdings keine einzige verifiziert werden konnte, wurde auch im Nachhinein noch fälschlicher Weise von dem “Kampfmönch” berichtet, der die Bürger “wochenlang” “in Angst und Schrecken” versetzt habe. Das Ergebnis ließ jedenfalls nicht lange auf sich warten: Die ersten Schüler bekamen Alpträume und generell Angst davor, überhaupt zur Schule zu gehen. Aus dem Cosplayer war ohne sein aktives Zutun eine Art Slender Man geworden.

Reaktionen auf das unbekannte Wesen

Nun ist es durchaus verständlich, dass sich Eltern angesichts solcher Geschichten über maskierte Personen mit Messern im Umkreis von Schulen und dem verstörten Auftreten ihrer Kinder so ihre Gedanken machen und lieber die Polizei einschalten. Diese hatte auch recht bald den richtigen Riecher und gab am 2. Juli eine Pressemitteilung heraus, in welcher sie die Bevölkerung zu beruhigen versuchte. Schließlich gab es keinerlei Hinweise auf begangene oder geplante Straftaten und die meisten Gerüchte hielt man ganz rational für frei erfunden. Man würde aber dennoch gerne mit der Person in Kontakt treten. Zu dem Ort, an dem die Person gesichtet wurde, laut Polizeibericht “im Bereich der Rottweiler Mensa”, habe ich interessenshalber einen Kartenausschnitt herausgesucht:

Quelle: Openstreetmap.de

Stadtpark Rottweil (Quelle: OpenStreetMap.de)

Objektiv betrachtet ist es in Rottweil nur sehr begrenzt möglich, in den Stadtpark zu gehen, ohne zumindest zeitweise in die Nähe einer Schule zu kommen. Die Schulmensa selbst liegt mitten im Park, in späteren Berichten wurde daraus jedoch die zugespitzte Version, dass die Person sich auf dem Schulgelände der anliegenden Realschule aufgehalten haben soll.

Der eher entwarnende Charakter der Pressemeldung gab dem Geschäftsführer des örtlichen Gratis-Wochenblättchens anscheinend zu wenig her. Noch am gleichen Tag titelte man: Spielefreak oder Spinner: Polizei sucht Unbekannten im Mittelalterkostüm.

Allein mit der Überschrift macht man ziemlich deutlich klar, was man von der entsprechenden Person hält. Ich jedenfalls sehe jetzt keinen Unterschied darin, ob man nun jemanden als “Freak” oder “Spinner” bezeichnet. Der Wortlaut des Textes liest sich ähnlich pathetisch.

Jedenfalls sieht er aus wie ein Assassine. Assassin’s Creed (zu deutsch: Credo des Assassinen) ist ein Computerspiel. Eine geheimnisvolle Geschichte, es geht um Templer, um Blut und Kampf, auch um Meuchelmörder.

Auch andere Medien werden nicht müde zu erwähnen, wie “blutig” Assassin’s Creed ist. Mehrwert für die Sache bringt es nicht. Um irrationale Ängste vor Videospielern zur schüren taugt diese Randbemerkung aber allemal, wie man später feststellen sollte. Besonders hervor zu heben sind auch die wiederholten Hinweise darauf, die Polizei wolle die Person “festnehmen”, “fassen” und “verhören”. Das ist nicht nur rein rechtlich absoluter Blödsinn, sondern wurde von der Polizei so tatsächlich auch nie kommuniziert. Der Artikel erweckt insgesamt den Eindruck, dass man zu dem Zeitpunkt wohl schon längst ein Urteil gefällt hat: Wenn er auch nur ein Fan sein sollte – Ärger soll er haben. Noch bedeutend schlimmer macht es der noch am gleichen Tag veröffentliche offene Brief. Der Autor lässt keinen Zweifel daran, dass an der hellen Aufregung unter den Schülern und Eltern nur die Person in der Verkleidung schuld sein kann:

Sie verbreiten Angst. Davor, in die Schule zu gehen. Unter Grundschülern und unter größeren. Das ist aus meiner Sicht inakzeptabel.

Ich möchte an diesem Punkt noch einmal darauf hinweisen: Die Person ist nicht an mehreren Tagen brüllend mit blutigem Messer und schwarzer Maske über ein Schulgelände gerast, um kleine Kinder zu erschrecken. Sie hat sich lediglich an einem Tag verkleidet in einem Stadtpark aufgehalten. Der Rest der Geschichte ist schlicht und einfach hausgemacht. Von einem aktiven Verbreiten von Angst kann also keine Rede sein. Zudem fragt man sich, wie der Verkleidete nun auch noch Grundschüler erschreckt haben soll, wenn er gar nicht in der Nähe der nördlich der Mensa gelegenen Konrad-Witz-Schule gewesen ist, zumindest nach dem, was der offizielle Polizeibericht her gibt. Entweder die Kleinen gehen im Rahmen einer Ganztages-Betreuung ebenfalls in die Mensa, oder sie wurden schlicht durch die allgemeine Verunsicherung Erwachsener und älterer Schüler angesteckt. Immerhin scheint der Gegenwind aus dem Internet doch ein Stück weit zum Denken angeregt zu haben. Zumindest werden auch minimal versöhnliche Töne angeschlagen, ehe man sich wieder in Drohphrasen ergibt:

Stellen Sie sich der Polizei. […] Oder wenden Sie sich an einen Anwalt, der Ihnen sagt, was Ihnen bevorsteht, wenn Sie sich bei der Polizei melden. Und der diesen Schritt dann mit Ihnen plant.

Sie werden sicherlich anschließend keine leichte Zeit haben, die Beamten werden Sie in die Mangel nehmen. […] Aber Sie werden zu Ihrer Tat stehen.

Und auch hier bleibe ich nicht müde zu erwähnen: Es gibt weder einen Grund, sich zu “stellen”, noch gibt es eine “Tat”, zu der man “stehen” könnte. Und unter der Prämisse, dass wir noch in einem Rechststaat leben, wir niemand diese Person für irgend etwas “in die Mangel nehmen”. Ich unterstelle einem Profi an dieser Stelle, dass er die Sprache als sein elementares Werkzeug gut genug beherrscht, um die Wirkung seines Textes bewusst zu konstruieren. Und so wenig Unrechtsbewusstsein gepaart mit so viel real existierendem Blutdurst – das ist etwas, das wiederum mir ein Stück weit Sorgen bereitet.

Ob der Autor nun vielleicht Kinder auf einer der betroffenen Schulen oder seinen Stil tatsächlich mit investigativem Journalismus verwechselt hat: Auf Seiten der Polizei wird sich jedenfalls manch einer die Haare über diesen Ausbruch gerauft haben. Denn welcher Mensch bei klarem Verstand hebt zu einem solchen Zeitpunkt noch freiwillig die Hand, um sich als “Freak”, “Spinner” oder wahlweise “Irrer” vom örtlichen Mistgabel- und Fackel-Mob auseinander nehmen zu lassen, wenn man nichts Unrechtes getan hat? Nach bisherigen Erfahrungen kann man wohl recht genau sagen, was passiert, sollte der Name der Person bekannt werden: Im besten Fall kann er sich einen Umzugsservice mieten, im schlimmsten Fall hat er davor noch einen wütenden Lynchmob vor der Tür stehen.

Öffentliche Diskussion und die Presse

Auf ähnlich lautende Argumentationen auf der verlagseigenen Facebook-Seite gab man sich vor allem uneinsichtig. Einwände, dass das Geschrei auch groß gewesen wäre, wenn etwas geschähe und gar nicht berichtet worden wäre, mögen ja stimmen. Die Kritik jedoch befasste sich überwiegend nicht mit dem Ob, sondern mit dem Wie. Zwischen neutraler Berichterstattung und Drohung und Diffamierung gibt es einen gewaltigen Unterschied, auch in der Art wie Menschen einen Artikel aufnehmen. Die entsprechenden Auswirkungen ließen jedenfalls nicht lange auf sich warten: Anscheinend besorgte Eltern aus der Gegend mahnten, der Unbekannte könne sich parallel zu früher geschehenen Amokläufen in Schulen in seine eigene Welt zurück gezogen haben und gefährlich sein. Mit der falschen Idee im Hinterkopf, der Fremde sei mehrfach aufgetaucht, glaubten andere, die Person wollte absichtlich Kinder erschrecken oder würde sie gar “stalken”.  Manch’ einer drohte mit körperlichen Schäden, würde die Person in die falschen Hände geraten, andere sind nicht mehr in der Lage den Unterschied zwischen in diesem Fall sehr keuschem Cosplay und Erregung öffentlichen Ärgernisses durch Tragen von Sado-Maso-Kleidung mit dazugehörigen Handlungen zu verstehen. Beim chronologischen Genuss der Beiträge (ich möchte das wirklich niemandem empfehlen) kann man sich ein gutes Bild davon machen, wie die Panik unter der Bevölkerung entstanden ist. Jeder versteht etwas anderes, dichtet etwas dazu, nimmt etwas Hörensagen zur Hilfe und schmiert das Ganze noch mit einer guten Portion Angst um die eigenen Kinder bis ein scheinbar perfekt ins Bild passender Verbrecher geschaffen wurde. Vernunftsargumente dringen zu diesem Zeitpunkt nicht mehr durch. Hier zeigt sich auch sehr deutlich ein weiteres Phänomen: Die Auswirkung der Angewohnheit der Presse, Manga, Videospiele und andere mit der “Nerd-Szene” verwandte Themen immer wieder mit Straftaten, Perversion oder schlicht gesellschaftsunfähigen Typen in Verbindung zu bringen, ungeachtet der Relevanz für das eigentlich zu behandelnde Ereignis. Damit werden nicht nur Ängste geweckt, sondern noch schlimmer bereits vorhandene, diffuse Vorurteile über nicht normgerechte Menschen potenziert. Über einige dieser Fälle schrieb ich beispielsweise bereits hier, hier oder hier. So kam es, dass manch’ ein Anwohner nicht etwa beruhigt darüber war, dass die angebliche “Vermummung” lediglich Teil eines Kostüms war. Vielmehr roch man jetzt erst recht eine aufkommende Gefahr durch verwirrte Videospieler, genährt von einer Berichterstattung, die in der Vergangenheit munter ins gleiche Horn blies.

Dank des Sommerlochs hat sich die Geschichte dann sehr schnell ab dem nächsten Tag verbreitet und erlangte eine gewisse Berühmtheit in diversen Klatsch-Spalten. Mal mit mehr, mal mit weniger wertenden Begrifflichkeiten, je nachdem ob lediglich die offizielle Pressemitteilung weiter getragen oder noch ein wenig garniert wurde. Immerhin betrachteten etliche auch die ganze Hysterie an sich mit einer gewissen Skepsis. Die “Recherche” des Spiegels hatte man sich vermutlich anders vorgestellt. Hier kam man nach kurzem Blick auf die Aufregung zu dem Fazit:

Völlig nüchtern betrachtet ist der Unbekannte in einem Kostüm, das es im Internet zu kaufen gibt, über eine Wiese gelaufen. “Nicht ansatzweise strafbar”, sagt die Polizei und hofft, dass der Spuk um den “Kampfmönch” damit ein Ende findet.

Die Auflösung

Bild des getragenen Kostüms "Assassin's Creed" (Quelle: Polizeipräsidium Tuttlingen)

Bild des getragenen Kostüms “Assassin’s Creed” (Quelle: Polizeipräsidium Tuttlingen)

Der Wunsch nach einem Ende hat sich zum Glück gerade einmal einen weiteren Tag später, am 4. Juli, erfüllt. Laut Pressemitteilung konnte die Identität des 25-jährigen Cosplayers geklärt werden. Wie schon im Vorfeld vermutet, war die Sache harmlos und die Polizisten können sich jetzt in ihrer Freizeit mit seinem (offensichtlich waffenfreien) Kostüm amüsieren. Was das im Klartext bedeutet, scheint bei der örtlichen Presse allerdings noch nicht so recht angekommen zu sein. Auch die Überschrift des Artikels Rottweil kann aufatmen: Die Polizei hat den Mönch gefasst klingt, als sei der Cosplayer zumindest in Untersuchungshaft geraten. Das Gegenteil wird wohl eher der Fall gewesen sein. Der Artikel schlägt auch sonst einen eher trotzig-beleidigten Tonfall an:

Das Netz wusste das. Hat die NRWZ als Bericht erstattende und die Stadt für ihre Angst verlacht, geschmäht, beleidigt. Doch die Leute aus den Städten, die Gamer und Cosplayer, sie behalten nun Recht: Es war einer von ihnen, der Rottweil mehr aus Versehen in eine Panik versetzt hatte.

Einsicht sieht anders aus. Wohl scheint man aber inzwischen gemerkt zu haben, dass man, ausgelöst durch den großen Hype, zumindest in den nächsten Wochen noch öfters Assassinen-Besuch bekommen wird. Die ersten Trittbrett-Fahrer wurden angeblich noch am gleichen Tag gesichtet, was angesichts der Beliebtheit der Kostüme, nicht nur in der Szene, auch nicht weiter verwunderlich ist. Bleibt zu hoffen, dass man in Rottweil nicht schon zu oft “Wölfe!” gerufen hat, denn das könnte im Ernstfall unangenehme Konsequenzen haben.

Was kann man aus einer solchen Reaktion zum aktuellen Stand der Presse lernen? Gerade in der heutigen Zeit ist es einfach, Informationen nachträglich zu überprüfen oder Journalisten direkte Rückmeldung zu ihrer Arbeit zu liefern. Diese Rückmeldungen kommen aus vielen Mündern, gebildeten, weniger gebildeten, alten, jungen, reichen, armen, mit mehr und mit weniger gesittetem Artikulationsvermögen und das nicht nur unbedingt von dem Clientel, mit dem man sich für gewöhnlich in seiner Freizeit umgibt. In diesem Fall meldeten sich wohl etliche Videospieler und Cosplayer zu Wort. Eben jene Personen, die man selbst als “Freaks” betrachtet – und es ist zugegeben verdammt unangenehm, von “Freaks” belehrt zu werden, wenn man diese für gewöhnlich von oben herab betrachtet. Die sogenannte vierte Gewalt, die lange Jahre die alleinige Deutungshoheit über viele Ereignisse hatte, sieht sich hier mit einem vollkommen neuen Kontrollorgan konfrontiert, an das sie sich erst mal gewöhnen muss. Das geschieht freilich nicht nur in der Lokalpresse, sondern auch in den großen Häusern. Hier lernt man allerdings bereits langsam, dass man unter seine Texte eine Korrektur und eine kleine Entschuldigung setzen kann, ohne dass einem gleich ein Zacken aus der Krone fällt.

Fazit

Collage von Jens G. (Facebook)

Collage von Jens G. (Facebook)

Ein Vorschlag zur Güte: Die Rottweiler könnten sich ein wenig in Selbstironie üben und eine Assassinen-Convention veranstalten. Eintritt für Assassinen, Schüler der umliegenden Schulen sowie deren Eltern ist frei. Der Rest zahlt einen kleinen Obulus zu Gunsten der Schulen. So könnten Eltern und Kinder hautnah erleben, dass hinter den bösen Maskenmännern ganz entspannte Männer und Frauen stecken, die Spaß am Verkleiden und Fotografieren haben und sich wahnsinnig darüber freuen, wenn man sich für ihr Hobby interessiert ohne sie als Spinner zu bezeichnen. Man isst gemeinsam heiße Würstchen und macht sich in einer Art Improvisationswettbewerb, Spiele ohne Grenzen, oder was auch immer zum Idioten. Die Lokalpresse wird eine nette Kolummne mit hübschen Fotos erhalten, frühere Albträume und sonstige Traumata dürften damit ebenfalls sehr schnell passé sein. Wenigstens ein paar Cosplayer wird man dafür sicher zusammen trommeln können. Im nicht all zu entfernten Villingen-Schwenningen findet schließlich regelmäßig ein Treffen statt. Ich denke, das ist ein durchaus versöhnliches Angebot angesichts der Tatsache, dass ein übereifriger Lokaljournalist nicht so recht einsehen mag, dass für ihn genau das gilt, was er auch von anderen einfordert: Einfach mal Rückgrad zeigen.

Übrigens: Bereits kurz nachdem ich diese Zeilen getippt habe, stelle ich fest, dass ein kluger Kopf bei Ubisoft schon auf eine ähnliche Idee gekommen ist. Wird Rottweil also in Zukunft das Wacken der “Assassinen-Szene”? Wir dürfen gespannt sein.

Wie fasse ich diese lange Geschichte nun also am besten zusammen? Um einen Mann in seltsamer Aufmachung spinnen die Schüler eines Ortes eine spannende Geschichte und verrennen sich tiefer darin als gut für sie ist. Das Ergebnis sind Ängste und Alpträume. Wie in der Geschichte aus meiner eigenen Schulzeit suchen besorgte Eltern eine Ursache, die es zu beseitigen gilt, finden hier aber in besagtem Mann tatsächlich einen vermeintlichen Sündenbock, an dem sie sich, von früheren fragwürdigen Berichterstattungen bestätigt, aufschaukeln. Die Presse springt darauf an, der interessierte Leser bekommt einen tiefen Einblick in sommerliche Pressearbeit sowie pseudo-investigativen Journalismus und das Schuldzuweisungskarussell dreht sich, bis man in Rottweil hoffentlich bald einsehen muss: Vielleicht hat der Ort einfach nur auch eine Generation äußerst kreativer junger Menschen in seiner Mitte. Die einen spinnen wilde Geschichten, die anderen verkleiden sich gerne.

Es mag für manch’ einen vielleicht wirklich nicht so einfach sein, sich einzugestehen, dass diese seltsamen Wesen auch nur ganz normale Menschen sind, die mit ihren Kindern zusammen zur Schule gehen oder ganz normale gutbürgerliche Berufe ausüben. Aber ich bin sicher: In einer katholisch geprägten Stadt lässt sich so ein bisschen Nächstenliebe ganz bestimmt aufbringen.

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *